DIE SCHICKSALSBECHER VOM FALKENSTEIN 

Einst lag die Gräfin Anna vom Falkenstein schlaflos in ihrem Himmelbett, als sie in der Ecke des Zimmers die Dielen knarren hörte. Als sie sich aufrichtete, sah sie einen Fuß hohes kleines Männlein, das mit einer Kerze in der Hand bibbernd zu ihr trat. „Verzeiht Herrin vom Falkenstein. Gebührend wollten wir euch vorstellig werden, doch nun ist Not und es geht nicht anders!“, sprach der Zwerg mit so tiefer, sanftmütiger Stimme, dass es der Gräfin trotz allem Denken, sie würde noch träumen, ganz warm ums Herz wurde. „Anna, komm und hilf meinem im Kindsbett liegenden Weibe, sonst stirbt es!“
Der Burgherrin klopfte das Herz bis zum Hals, doch ihr Mitgefühl überwog – schnell zog sie sich ihren Mantel über und folgte dem Zwerg durch eine geheime Tür, tief in den Berg hinein.
In den tiefsten Höhlen des Berges, war ein großer Saal, voll weiß gekleideter kleiner Gestalten und wie sie die Burgherrin sahen, fielen sie auf ihre winzigen Knie, ihre Händchen flehend nach ihr emporgehoben. Die kluge, erfahrene Anna konnte der Zwergin helfen. Es war keine Stunde vergangen, da hielt der Zwerg der die Burgherrin zur Hilfe holte einen winzigen Knaben in der Hand.

Alles im Felsensaal tanzte und lachte, als der Zwerg das Kindlein zum Volke hielt und verkündete: Unser neuer König! Zu Anna gerichtet sagte er: „Du hast sehr geholfen, meinem Weib und meinem Kinde das Leben gerettet. Zum Dank nimm diese drei Becher. Solange deine Familie sie sorgfältig bewahrt, solange wird dein Stamm der Asseburger erblühen. Zerbrechen die Becher aber, so bricht auch er und verdorrt, darum hüte sie wie Deinen Augapfel!“

Wie Anna am anderen Morgen erwachte, da meinte sie, nur sehr lebendig geträumt zu haben. Ein Lächeln huschte ihr übers schöne Gesicht. „Seltsam, was mir die Einbildung für Streiche spielt!“, dachte sie und schlug die schwere Bettdecke schwungvoll zur Seite. Gerade rechtzeitig bemerkte sie noch, wie die Decke etwas vom Nachttisch fegte und dass das einer der Becher aus ihrem Traume war.
In der letzten Sekunde fing sie ihn auf, bevor er auf dem steinernen Boden zerschellen konnte. Seit jenem Tage, verwahrte sie die Becher sicher, was ihrer Familie zum Glück gereichte.

(aufgeschrieben von Carsten Kiehne in "Die bekanntesten Sagen aus dem Ostharz - und ihre Geheimnisse" - Erstveröffentlichung März 2017 (nach Gottschalck, 1814))