DER NACHTWÄCHTER VON DER LIESEBERGSGASSE

In Drübeck gab es einst einen Schweinehirt, der zugleich das Amt des Nachtwächters ausübte, um sich ein paar Pfennige dazu zu verdienen. Vor der Liesebergsgasse blies er eh und jeh, doch wie er es an diesem Abend den anderen gleich tun wollte, da hielt ihm Jemand das Horn vorne zu. Es war eine weiße Frau die ganz herzerweichend zu sprechen begann:

"Du hast 20 Jahre an Ort und Stelle geblasen, nun ist der Tag gekommen, da Du damit aufhören sollst. Heute ist's genau 20 Jahre her, dass ich hier ermordet wurde. Der Amtmann wars! Er beschwängerte mich, warf dann das Neugeborene in den Brunnen erschlug und vergrub mich unterm großen Birnbaum.
Vor den letzten 3 Schlägen der Kirchturmuhr, sagte ich ihm aber: >Beim vierten Kinde deiner Frau soll deine Schandtat ans Licht kommen.< Dies ist der Moment Nachtwächter. Geh also zum Pfarrer, lasse sie unterm Birnbaum nach den Resten meines Körpers buddeln und nimm Dir einen andern Platz zum Tuten."

Pastor und Amtmann waren Halbbrüder und der Pfarrer wollt's "auf Teufel komm raus" dem Nachtwächter ausreden. Doch der ließ sich nicht breitschlagen, ließ nachgraben und fand die Knochen tatsächlich. Weiß wie Schnee waren sie und wie der Amtmann zur Rede gestellt wird und einen davon in die Hand nimmt, da ist er urplötzlich ganz rot von Blut. So erkennt das Volk den Schuldigen und jagd ihn mit Klapperstöcken, Pfeil und Bogen aus Drübeck heraus.
Der Amtmann weiß, wenn er's nur bis zum Steinkreis nach Darlingerode schafft, dem alten Thingplatz seiner Vorväter, dann ist er sicher. Denn dort zwischen den sieben Steinen, an den sieben Bäumen, herrscht unumstößlicher Thingfriede. Wer den bricht, ist selbst dem Teufel mit Leib und Seele verschrieben.

Der Amtmann rennt und keucht, doch hätte er wohl zu Lebzeiten selber öfter laufen sollen, als vom Amtsschimmel aus zur Arbeit anzutreiben, denn wenige Meter vor dem Steinkreis liegt sein Körper nun zerspellt und im Blute.

 

 

(aufgeschrieben von Carsten Kiehne nach Pröhle, 1859)