Die Sage von der Vogelklippe bei Westerhausen

 

Die Vogelklippe

 

Dicht neben dem Königstein liegt ein kleiner Hügel mit einer ebenso kleinen Klippe. Es ist die Vogelklippe.

Früher war der Berg ohne Baum und Strauch und auf ihm stand eine lange, hohe Felsklippe, auf der gern die Vögel nisteten. Vor vielen hundert Jahren, nach einem langen Krieg, herrschte auch in Westerhausen eine Hungersnot. Die letzten Bauern konnten anbauen, was sie wollten, kaum war die Saat aufgelaufen, waren die Felder am anderen Morgen verwüstet und verkratzt. Es konnte einfach nichts geerntet werden. Auch das Futter für die Tiere wurde knapp. Große Schwärme von schwarzen Vögeln, größer als unsere Raben, zerstörten alles Essbare auf den Feldern. Die Jungtiere wurden nur noch im Stall gehalten, da die Vögel sogar diese angriffen. Sogar die Dorfältesten waren ratlos. Da aber hatten die Hirten Dietrich und Hildebrand eine Idee. Sie wachten mehrere Nächte in der Feldflur versteckt. Dann konnten sie berichten. Die Vögel kommen jede dritte Nacht aus einem engen Loch in einer Klippe und kreisen dann über dem Königstein. Wie auf ein Kommando stürzen sie sich dann plötzlich auf ein Ackerstück und lassen nicht eher nach, bis der letzte Samen oder Keimling gefressen ist. Nun berieten die Dorfältesten wieder, aber sie fanden keine rechte Lösung. Das Zustopfen des Loches hatte keinen Erfolg gebracht. So schickte man einen Vertrauten mit Begleiter nach Thale. Dort wohnte am Bodetal ein alter Bergmann und Kräuterkundiger. Er sollte sich sogar mit den Hexen auskennen. Diesen besuchte sie und nahmen ein kleines Geschenk mit, das er auch annahm.

Er hörte sich die Sache an, überlegte dann eine Weile und gab ihnen dann folgenden Rat mit: „Ihr müsst früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht, an allen Klippen arbeiten, als sollten sie zerschlagen werden und möglichst viel am ersten Tage schaffen“. Die beiden schauten sich verdutzt an, weil die Lösung so einfach schien und dankten und gingen wieder nach Hause.

In Westerhausen wurden sie sehnsüchtig erwartet. Dann folgte der Aufruf an alle, die im Dorf mit helfen konnten.

Mit allem nur möglichen Werkzeug, besonders mit Hämmern und Keilen und Stangen und Seilen zogen sie am nächsten frühen Morgen hinaus.

Sie erreichten die Felsen, kletterten hinauf und keilten und schlugen und sprengten die Felsen, daß es nur so krachte. Es ward dabei kein Vogel gesehen. Die Felsen wurden den Hang hinab gekullert, daß fast kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Nur ein Mittelstück als Restbestand blieb noch erhalten.

Die schwarzen Vögel blieben von nun an weg. Der Felsblock aber und die vielen Steingruben um ihn herum sind noch vorhanden. Dieser große Felsbrocken heißt bis heute die Vogelklippe.

 

W. Körner