DER GRABHÜGEL ÜBER DER BODE

Ein alter Bauer stand eines Tages in seinem Hof und besah seinen Reichtum. Das Korn auf den Feldereien wuchs prächtig heran, die Obstbäume hingen voller Früchte, das Getreide des letzten Jahres war lange noch nicht aufgeraucht und in den Ställen standen fette Ochsen und schönste Pferde. Und wie er in die gute Stube ging, um wie jeden Tag sein Geld zu zählen, da klopfte es gehörig an. Nein, es war niemand an der Tür, es klopfte in seinem Herzen: "Was habe ich mit all meinem Gut jemals Gutes getan?", fragte er sich. "Habe ich eines armen Mannes Not gelindert? Habe ich liebe Menschen, denen ich vollen Herzens gegeben habe oder geben kann? Ach, da bin ich im Alter doch ärmer als der Bettler mit seinen sieben Kindern unten an der Bode.

Da klopfte es abermals, doch diesmal an die Türe seiner Stube. Es war der Bettler an den er in eben jenem Moment einen Gedanken verschwendete. Der arme Mann war sich sicher keine Hilfe zu bekommen, doch ihm blieb nichts anderes übrig und sprach mit abgenommenen Käpplein "Ich weiß, Ihr gebt nicht leicht von dem Eurigen weg, aber mir steht das Wasser bis zum Halse, meine Kinder hungern, bitte leiht mir vier Malter Korn." Der Reiche sah ihm lange in die Augen und plötzlich, da regte sich etwas im Herzen des Reichen, nie zuvor wahrgenommen und doch endlich sanft aufblühend: Mitgefühl. "Vier Malter will ich dir nicht leihen", sprach der Bauer mit ernster Miene, "sondern achte will ich dir schenken! Unter einer Bedingung!" - "Was soll ich tun?", fragte der Arme. "Wenn ich tot bin, sollst du drei Nächte an meinem Grab Wache halten." Dem Bauer ward unheimlich zumute, doch in seiner Not, sagt er zu.

Als hätte der Bauer geahnt was kommen müs, fiel er nach drei Tagen urplötzlich tot zur Erde. Keiner wusste woran er gestorben war, doch alle lachten und meinten: "Sicher an gebrochenem Herzen!". Nicht einmal auf dem Kirchhof sollte er die letzte Ruhe finden. Weit außerhalb der Stadt, auf einem alten Grabeshügel, verscharrte man die Üerreste und niemand, wirklich niemand kam zur Bestattung. Nur der Arme erinnerte sich seines Versprechens und zog voller Angst in die Nacht hinaus, um am Grabe Wache zu halten. Doch anders als erwartet blieb alles still. Nur der volle Mond schien über die Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorüber und ließ ihre kläglichen Töne hören. Ebenso erging es ihm die zweite Nacht. Vor der dritten Dunkelheit aber grauste ihm sehr.
Kurz bevor die Dunkelheit erbarmungslos die Schlinge zuzog, kam ein Soldat des Weges geschritten. Nicht mehr jung war er, mit Narben im Gesicht, doch seine Augen blickten noch scharf und feurig. Der Arme sammelte seinen letzten Mut und fragte forsch drauflos: "Was sucht Ihr hier? Fürchtet ihr euch nicht, an diesem einsamen Grabesplatz?" "Ich suche nichts!", entgegnete der Soldat, "Aber ich fürchte auch nichts. Ich wollt' mich hier zur Ruhe legen!" "Wenn Ihr keine Furcht kennt", sprach der Bauer, "So bleibt bei mir. Helft mir diesen Grabhügel zu bewachen!" - "Gut. Wache halten ist des Soldaten Geschäft - gleich was passiert, mit mir ist zu rechnen."

Bis Mitternacht blieb alles still, doch dann ertönte plötzlich ein Pfeifen in der Luft und beide Wächter erblickten den Urian von seiner Teufelsmauer heran sausen. Nun stand der Leibhaftige vor ihnen und befahl: "Fort, ihr Halunken, der hier im Grabe ist mein. Ich will ihn holen und wer mich hindert, dem dreh ich den Hals um." - "Versuchs doch, gehörnter Stiesel, du bist mein Hauptmann nicht, nur dem will ich gehorchen und das Fürchten wirst du mich nicht lehren!", sagte der Soldat und spuckte dem Teufel vor'n Bocksfuß. Gleich sah der Höllenfürst ein, dass hier ein andrer Ton angeschlagen werden muss: "Ich will euch Gold geben, wenn ihr das Grab freigebt!" "Das läßt sich hören!", antwortete der Soldat, worauf der Arme gehörig Angst bekam, dachte er doch bereits, er müsse Urian nun alleine die Stirne bieten. "Aber mit einem Beutelchen voll Gold ist uns nicht gedient!", grinste der Soldat. "Ihr müsst schon so viel Gold zahlen, wie in einen meiner Reitstiefel passt!" - "So soll es sein, weiß ich doch leicht mehr Gold zu holen. Doch betrügst du mich Freundchen, hol' ich auch dich!", zeterte der Teufel und verschwand wie er kam.
Bist du von Sinnen?", stotterte der Arme, doch der Soldat, riss die Sohle vom Stiefel ab und stellte den Schuh inmitten des Grabhügels auf. "Wirst schon sehen, wie tief das Gold in meinen Stiefel fallen kann.", lachte er. Da brauste der Teufel mit einem Säcklein Gold heran, schüttete es in den Schuh, doch füllte es nicht einmal den Grund. Wieder brach der Gehörnte auf, um mit einem viel größeren Sack zurückzukommen und wieder verschwand der Inhalt im Schuh. "Wie machst du das? Der müsste doch längst voll sein!", fragte der Arme, doch wie er in den Schaft hineinsah, war kein Goldstück zu erkennen. Als der Gehörnte auch einen dritten Sack Gold im Stiefel verschwinden sah, erboste er so sehr und hätte sicher Stiefel und Soldat in Stücke zerrissen, wenn nicht in jenem Moment die Sonn' erwacht wäre und den Fürsten der Dunkelheit zum Fliehen zwang.

"Wie hast du das gemacht?", wollte der Arme wissen, worauf der Sodat seinen Stiefel anhob und unter der Sohle ein großer Dachsbau zum Vorschein kam. Der ganze Bau, der glitzerte nur so vom vielen Golde. Arm war nun keiner der Beiden mehr!

(aufgeschrieben von Carsten Kiehne nach Gebrüder Grimm)